Nachhaltigkeit in der Versicherungs- und Finanzwirtschaft: Was die TVO für Vermittler bedeutet

Unsere Zukunft entscheidet sich nicht erst morgen, sondern heute. Was wir heute tun und was wir unterlassen, stellt die Weichen für unsere Zukunft und die nachfolgender Generationen. Das gilt auf zwischenmenschlicher Ebene ebenso wie in sozialen Gemeinschaften und für die Welt, in der wir leben. Und die ächzt unter einem globalen Temperaturanstieg.

Diese Einsicht erreicht zunehmend auch politische Entscheidungsträger, national wie international. Das Übereinkommen von Paris aus dem Jahr 2015 gibt den globalen Rahmen zur Bekämpfung des Klimawandels vor: Die Erderwärmung soll bis 2050 im Vergleich zu 1850 deutlich unter 2°C gehalten und der Temperaturanstieg auf 1,5°C begrenzt werden. Zu den fast 190 Vertragsparteien des Pariser Klimaabkommens zählen die EU und ihre Mitgliedstaaten. Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Union 2018 ihren Aktionsplan „Nachhaltige Finanzierung“ veröffentlicht. Zur „Nachhaltigkeit“ zählen Umweltaspekte, aber auch soziale Gerechtigkeit und gute Unternehmensführung . In der Finanzbranche hat sich dafür das Kürzel „ESG“ für Environmental, Social und Governance etabliert.

Eine der Maßnahmen aus dem Aktionsplan ist die Offenlegungsverordnung, auch Transparenzverordnung (TVO) genannt, die seit dem 10. März 2021 EU-weit angewendet werden muss. Sie verpflichtet Finanzmarktteilnehmer (Versicherer, Wertpapierunternehmen und Kreditinstitute) sowie Finanzberater dazu, ihren Umgang mit dem Zukunftsthema Nachhaltigkeit offenzulegen.

Wer sind Finanzberater im Sinn der TVO?

Unter Finanzberatern versteht die TVO u. a. Vermittler von Versicherungsanlageprodukten. Vermittler, die ausschließlich SHUK-Versicherungen anbieten, sind also nicht betroffen. Die Pflichten aus der TVO gelten zudem nur für Vermittlerbetriebe mit mindestens drei Beschäftigten. Vermittler mit Zulassung nach Paragraf 34f GewO fallen derzeit (Stand Mai 2021) noch nicht unter die TVO. Es ist aber davon auszugehen, dass der europäische Gesetzgeber dies in absehbarer Zeit nachholen wird.

Wo müssen Vermittler ihre Pflichten aus der TVO erfüllen?

Die Veröffentlichungspflichten nach Artikel 3, 4 und 5 TVO betreffen das Internet. Das bedeutet im Umkehrschluss: Vermittlerbetriebe ohne Internetauftritt sind nicht betroffen. Bei ihnen dürfte es sich allerdings um eine zu vernachlässigende Minderheit handeln. Es gibt keine Vorgaben, wie und an welcher Stelle Informationen zu veröffentlichen sind. Die Pflichten nach Artikel 6 TVO gelten darüber hinaus auch für vorvertragliche Informationen.

Die Veröffentlichungspflichten der TVO für Vermittler im Detail

Art. 3 TVO verpflichtet Vermittler, darüber zu informieren, ob und ggf. wie sie Nachhaltigkeitsrisiken bei ihrer Beratung und Vermittlung zu Investitionsentscheidungen berücksichtigen. Was Nachhaltigkeitsrisiken bei Finanzanlagen sein können, erläutert die BaFin in einem Merkblatt. Die meisten Beispiele betreffen Finanzmarktteilnehmer, also Versicherer, Wertpapierunternehmen und Kreditinstitute. In der Regel ziehen Vermittler für die Bewertung dieser Risiken Informationen der Produktgeber („Finanzmarktteilnehmer“) heran und verweisen auf deren vorvertragliche Informationen.

Art. 4 TVO verpflichtet zur Information, wie nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren berücksichtigt werden. Nachhaltigkeitsfaktoren sind beispielsweise Auswirkungen auf Umwelt (Emission von Treibhausgasen, Verbrauch von Ressourcen etc.), soziale (Un-) Gerechtigkeit (Kriegswaffen, Kinderarbeit, Geschlechterdiskriminierung) und gute Unternehmensführung (Transparenz, aktive Vermeidung von Bestechung und Bestechlichkeit etc.). Die Informationspflicht umfasst Aussagen über

  • Strategien zur Feststellung und Gewichtung der wichtigsten nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen und Nachhaltigkeitsindikatoren
  • wichtige nachteilige Auswirkungen auf Aspekte der Nachhaltigkeit und alle dazu ergriffenen oder ggf. geplanten Maßnahmen
  • unterzeichnete Kodizes für verantwortungsvolle Unternehmensführung und international anerkannte Standards

Derzeit legen Vermittler beim Thema Nachhaltigkeit meist die Informationen von Anbietern (Produktgebern) zugrunde. Ein Hinweis darauf im eigenen Internetauftritt reicht aus. Wer allerdings eigene Recherchen unabhängig von den offiziellen Angaben der Produktgeber erstellt, muss seine Kriterien offenlegen.

Vermittler, die (bis aus Weiteres) negative Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsaspekte in der Beratung nur auf Nachfrage von Kunden berücksichtigen, können dies so veröffentlichen.

Kodizes haben sich derzeit, wenn überhaupt, eher größere und große Vermittlereinheiten angeschlossen bzw. unterworfen. Dazu zählen beispielsweise der Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) aus dem Jahr 2010 sowie die Global Reporting Initiative (GRI).

Art. 5 TVO verpflichtet zur Offenlegung, ob die Vergütungspolitik im Zusammenhang mit Nachhaltigkeitsrisiken steht. Ein Beispiel wäre, dass die Vermittlung von Produkten nach ESG-Kriterien eine höhere oder niedrige Vergütung auslöst als Produkte, die sich nicht an ESG-Kriterien orientieren. Das Verbot von Fehlanreizen ist dabei zu berücksichtigen.

Art. 6 Abs. 2 und 3 TVO verpflichten zur vorvertraglichen Information darüber, wie Nachhaltigkeitsrisiken bei der Beratung einbezogen werden. Es ist ausreichend, vorvertragliche Informationen der Produktanbieter auszuhändigen. Auch sind die zu erwartenden Auswirkungen auf die Rendite jener Produkte zu erläutern, die Gegenstand der Beratung sind. Finanzberater/Versicherungsvermittler, die keine Nachhaltigkeitsrisiken berücksichtigen, müssen dies „klar und knapp“ begründen. Die Offenlegungspflicht gilt für vorvertragliche Informationen im Rahmen der Beratungsdokumentation sowie den eigenen Internetauftritt.

Die Vermittlerverbände Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute e.V. BVK und Bundesverband Finanzdienstleistung AfW unterstützen den Arbeitskreis Beratungsprozesse durch ihre Mitarbeit in verschiedenen Gremien. Auf diese Weise bringen sie ihre berufsständische Expertise ein und tragen zur Weiterentwicklung unserer Arbeitshilfen für Vermittler:innen bei. Beide Verbände haben rechtzeitig zum Inkrafttreten der TVO Checklisten und/oder Formulierungsvorschläge zum Umgang mit den Pflichten der TV O erarbeitet. Diese sind in deren Internetauftritt auch für Nicht-Mitglieder kostenfrei zugänglich. Allerdings gilt auch hier: Vermittlerverbände brauchen neben der inhaltlichen Anerkennung ihrer Arbeit auch die finanzielle Honorierung ihrer Tätigkeit. Wer von ihren Arbeitsergebnissen profitiert, sollte sich vor einer Förderung durch Mitgliedschaft nicht scheuen.

Vermittler-Informationen und Formulierungsvorschläge zur Transparenzverordnung (TVO) finden Sie unter diesen Links:

Nachhaltigkeit in der Versicherungs- und Finanzberatung – die nächsten Schritte

Noch müssen Berater und Vermittler von Finanzanlageprodukten ihre Kunden nicht zu deren Präferenzen in Sachen Nachhaltigkeit befragen. Das wird erst mit Inkrafttreten der Delegierten Rechtsverordnung zur IDD der Fall sein, die am 21. April 2021 veröffentlicht worden ist. Fachleute rechnen, dass dies nicht vor Mitte 2022 der Fall sein wird. Eine Grundvoraussetzung stellt die sogenannte EU-Taxonomie dar. Sie wird in Zukunft ein einheitliches Klassifikationssystem für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten bereitstellen.

Auch wenn der Gesetzgeber noch keine Beratung zu Nachhaltigkeitsaspekten bei der Geldanlage verlangt: Es spricht viel dafür, schon jetzt mit Kundinnen und Kunden zum Thema Nachhaltigkeit ins Gespräch zu kommen. Denn Zukunft entscheidet sich heute und nicht erst morgen. Noch haben wir es in der Hand …

 

 

 

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